Das Dunkle zwischen uns – Horroranthologie
Herausgeberinnen: Jasmin Mrugowski, Nadine Opitz und Sarah Jahed im Eigenverlag, März 2023
Taschenbuchausgabe 244 Seiten
ISBN: 978-374 609 41 75
Preis: 13,80 €
Ich finde die Geschichte hinter der Anthologie, dass sich drei Frauen aus verschiedenen Teilen des Landes kennenlernen und so sympathisch sind, dass sie in Kontakt bleiben und sich dann sogar mal treffen, sehr nett und dass daraus die Idee zu einer Anthologie entstand, sogar noch netter.
Viele der Kurzgeschichten fand ich sehr kurz. Zu kurz, um Sympathie zu den Protagonisten entwickeln zu können, aber das werde ich dann zu den einzelnen Storys selbst noch mal anmerken. Mich hat es etwas gestört, dass in den meisten Geschichten alle Leute, mit denen ich eigentlich mitfühlen sollte, am Ende sterben. Das macht die Lektüre für mich ein wenig langweilig. Wozu soll ich die Geschichten alle lesen, wenn doch alle wegsterben? Es gibt ein paar Ausnahmen, aber bei den meisten trifft das zu.
In den meisten Fällen beherrschen die Autorinnen ihr Handwerk gut, aber auch hier gab es wieder mal Storys, in denen die vollendete Vergangenheit zwanghaft vermieden wurde. Ich wünschte mir, diese Unsitte würde endlich wieder verschwinden.
Ich vermisse einen Hinweis darauf, wer die Grafiken erstellt hat. War es derjenige, der auch für das Cover verantwortlich ist?
So, das nur vorweg.
Sarggeflüster (Jasmin Mrugowski)
Ein Mann wacht in einem Sarg auf und weiß, dass es für ihn kein Entkommen gibt. Seine Frau hat ihn ins Watt gestellt und bereitet ihm so einen langsamen Tod durch ertrinken. Er deutet an, dass er sein Schicksal wohl verdient hat.
Nicht schlecht geschrieben, aber ich fand, die Geschichte hatte weder Höhen noch Tiefen.
Unter die Haut (Nadine Opitz)
Die Story war für meinen Geschmack viel zu kurz, um fesseln zu können. Außerdem fand ich das Ende vorhersehbar. Trotzdem fand ich sie gut geschrieben.
Der Puppenmacher (Sarah Jahed)
Diese Story fand ich gut geschrieben, aber abgekauft habe ich sie der Autorin nicht. Die Psychologin, die dem Vater rät standhaft zu bleiben, die meint, das Kind müsse mit dem Trauma fertig werden und sich seinen Ängsten stellen. Nein, das glaube ich nicht. Das Ende fand ich jetzt nicht so wahnsinnig überraschend.
Ich schätze, diese Story hätte gut werden können, hätte vielleicht sogar auf Romangröße ausgeweitet werden können. Dazu hätte ich dann allerdings gerne das exakte Alter des Mädchens gewusst und mir ggf. einen anderen Bösewicht gewünscht.
Falls der Puppenmacher, der bleiben soll, der er ist, dann wünschte ich mir böse Ahnungen des Mädchens.
Das Dunkle zwischen uns (Nadine Opitz)
Hm, auch wieder so eine Story, die schnell und kurz erzählt wird. Dann noch die schnellen Perpektivwechsel und eine Unglaubwürdigkeit, die mir den Genuss verleidet haben. (Die Frau geht zurück zur Stiefmutter, von der sie misshandelt wurde.) Ich finde es gut und wichtig, über Misshandlungen im Elternhaus zu schreiben, aber ich würde mir das ein wenig ausgeprägter wünschen. Hier kommen kaum echte Gefühle auf, auch empfinde ich kein Mitleid mit einer der Personen. Das müsste alles weit intensiver verfasst werden.
Liebe Nadine, ich bitte dich, lass dir bei den nächsten Geschichten mehr Zeit, arbeite deine Charaktere heraus und lass sie lebendig werden. Dann können wir als Leser auch mitleiden und mitfiebern. Ich denke, dass nötige Rüstzeug hast du.
Rachegeister (Jasmin Mrugowski)
Hier wird die erste Geschichte weitererzählt. Wir erfahren, dass der Mann im Sarg ein Serienmörder war und deshalb sein Schicksal wohl verdient hat, oder? Darf seine Frau mithilfe eines Freundes Selbstjustiz üben? Und dulden die Geister das?
Diese Autorin könnte richtig gute Geschichten schreiben, wenn sich sich mehr Zeit nehmen würde und sich an die korrekten Zeiten halten würde.
Ich bring dich heim (Nadine Opitz)
Ein Mann wird von Albträumen geplagt und seine Therapeutin rät ihm, etwas dagegen zu unternehmen. Hm, wieder so ein kurzer Text, der mich nicht so recht überzeugen konnte. Mit wem soll ich hier mitzittern? Mit einer Nebenperson (der Therapeutin), von der ich nichts weiß? Warum? Mit dem Mann, der offensichtlich nicht nur gestört sondern auch gewalttätig ist? Sicher nicht. Hier geht es mir zu sehr um Effekte. Man soll sich die Situation vorstellen und sich gruseln.
Ich bin mir nicht sicher, ob das Alter des Mannes genannt wird, aber wenn er selbst damals noch ein Kind war, bin ich mir nicht sicher, ob ich ihm die Tat abnehmen soll, aber das wird ja durch die Taten von Kindern in letzter Zeit wohl überholt.
Der Seelenfänger (Sarah Jahed)
Mal wieder eine etwas längere Story über eine Zeitreise, die nicht ohne Folgen bleibt. Auch hier frage ich mich, mit wem ich wohl mitfühlen soll. Dem Heimkehrer, der gegen Dämonen kämpft? Der Frau, die ahnt, wer da vor ihr steht oder doch mit dem vorlauten Jungen? Ich konnte mich mit keinem identifizieren und fand das Ende nicht besonders gut. Aber das ist natürlich immer alles Geschmackssache. Warum sollte ich Anthologien lesen, wenn ich weiß, dass am Ende immer alle sterben?
Das alleine macht für mich keinen Horror aus.
Ich habe ihn gesehen (Nadine Opitz)
Ein zwölfjähriger Junge schreibt seinem Vater, dass er fürchtet, am Tod seiner Freundin schuld zu sein und glaubt, dass der Mörder nun hinter ihm her ist.
Die Story war auch nichts für mich. Die Stimme des Jungen hat mich nicht überzeugt. Am Ende habe ich mich gefragt, ob hier ggf. einfach wahre Begebenheiten „umsponnen“ wurden und diese Kinder echt verschwunden sind. Aber selbst dann, hätte man mehr daraus machen können.
Das Haus der vergessenen Bücher (Jasmin Mrugowski)
Ein Einbrecher wird von der Besitzerin der Villa, in die er eingestiegen ist, ausgetrickst. Sie hat ihr Haus per Smart Home auch aus der Entfernung im Griff, wird über den Einbruch informiert und riegelt das Haus ab. Der Eindringling ist gefangen. Dann entwickelt sich ein Gespräch zwischen den beiden. Ich fand den Einbrecher nicht so überzeugend. Gut, er kann dem Monolog der Dame nicht entkommen, aber für mich hätte der sich weit bockiger zeigen müssen. Ohren zuhalten, Wohnzimmer verwüsten, Bücher anzünden alles wäre möglich gewesen. Bevor er in den Keller geht. Danach bin ich mir auch uneins, ob ein Dieb sich so verhalten würde.
Ich finde Geschichten um Selbstjustiz immer fragwürdig.
Die Flucht (Nadine Opitz)
Eine prügelnde Frau treibt ihren Mann ins Bad, wo er gefangen ist und versucht sich mit Tabletten zu betäuben. Ich persönlich kann es nicht besonders gut leiden, wenn alte Rollenbilder einfach vertauscht werden. wenn also nicht der Mann, sondern die Frau gewalttätig ist. Und wenn dann dieselben alten Ausreden herhalten müssen, kann ich dem noch weniger abgewinnen. Ja, ich weiß, dass es auch solche Fälle gibt, aber müssen die hervorgehoben werden, wenn es immer mehr Femizide gibt? Hat mich nicht überzeugt.
Der Henkersberg (Sarah Jahed)
Die alte Story über das verwunschene Haus. Eigentlich mag ich solche Geschichten, aber hier haperte es daran, dass mir keiner der drei Protagonisten sympathisch war.
Das Memory-Kind (Nadine Opitz)
Wie ich an anderer Stelle schon sagte, finde ich es wichtig und richtig, über sexuellen Missbrauch an Kindern zu schreiben, das Thema zu enttabuisieren und Mitgefühl zu erzeugen, aber hier ist das leider nicht gelungen. Zu schnelle und zu viele Perspektivwechsel, ohne dass mir das Kind nahe gekommen ist oder ich mitleiden kann.
Gegenüber (Jasmin Mrugowski)
Auch diese Geschichte fand ich deutlich zu kurz und zu unpersönlich.
Der Boom-Pow-Effekt (Nadine Opitz)
Die erste Story, die mir wirklich gut gefällt. Ein Junge wird von drei älteren krankenhausreif geprügelt. Er hat Albträume. Seine Mutter bringt ihm seine Malsachen ins Krankenhaus, um ihn abzulenken. Er ersinnt einen Superhelden, der böse Taten verhindert, bevor sie stattfinden. Ein Mädchen aus dem Nachbarzimmer stibitzt ihm die Zeichnungen nachts, wenn er schläft.
Einzig die vielen Wiederholungen hätten meiner Meinung nach gekürzt werden können. Nach dem dritten Mal überfliegt man die eh nur noch. Aber vom Setting her fand ich es schön. Ich konnte mich sowohl mit dem Mädchen, als auch mit dem Jungen identifizieren und das Ende hat mir dann auch mal gut gefallen.
Bei den folgenden Jahrmarktsgeschichten hatte ich den Eindruck, dass die für eine Ausschreibung verfasst wurde, dort nicht angenommen und hier neu verwertet wurden.
Auf dunklen Schwingen (Sarah Jahed)
Eine Frau erlebt auf einem Jahrmarkt seltsame Dinge und wir erfahren, dass sie sich schuldig am Tod ihres Bruders fühlt.
Für mich persönlich war das Ende nicht wirklich aufgeklärt, weil ich nicht weiß, wer den Wagen gefahren hat.
Der Maskenball (Nadine Opitz)
Eine Jahrmarktsstory über einige Leute, die von einer Frau aus dem Fahrenden Volk verflucht wurden. Die fand ich jetzt wieder nicht schlecht, obwohl wieder bei den Zeiten nicht korrekt gearbeitet wurde.
Nichts als ein Echo (Jasmin Mrugowski)
Eine Frau streitet sich auf dem Jahrmarkt mit ihrem Freund und geht alleine los, wird aber schnell von einem Jungen angesprochen, der ihr gar nicht mehr von der Seite weichen mag. Sie erleben seltsame Dinge und nach einer Weile wird es ihr unheimlich. Wozu sie allen Grund hat.
Auch die Story hat mir gut gefallen. Besonders das Ende.
Fazit:
Handwerklich hebt sich diese Anthologie von vielen anderen ab, finde ich. Es sind nur sehr wenige Fehler zu finden, bis auf die von mir bereits monierte Freiheit, die sich heute fast alle nehmen, mit den Zeiten lax umzugehen.
Ich sehe Potenzial in den Autorinnen und bin überzeugt, dass die nächste Anthologie schon viel besser werden wird, denn der Aufwand, den sie hier schon betrieben haben, der ist außerordentlich. Der muss gelobt und erwähnt werden. Dazu erfährt man in Yvonne Tunnats Podcast eine ganze Menge. Es ist das erste Mal überhaupt, dass ich höre, dass drei relativ neue Autorinnen sich so viel Mühe gegeben haben. Hier gehts zum Podcast: https://www.literatunnat.de/blog/
Was ich ihnen mit auf den Weg geben möchte, ist dies:
Lasst euch bitte mehr Zeit. Haucht den Personen Leben ein und lasst sie authentisch handeln. Nehmt den Leser bei der Hand und führt ihn zu einem Ende, an dem er gerührt, sauer, oder sonst was ist, aber weckt Gefühle in ihm.
Ich würde euch nur für die Geschichten drei von fünf Punkten geben, aber für das ganze Drumherum, das ich ja nun kenne und somit nicht außen vor lassen kann, würde ich auf vier hochgehen. Aber die nächsten vier, die müsst ihr euch alleine mit den Storys verdienen. ;-)
